Samstag, 19. Oktober 2013

Differenzierung tut gut





Demeter-Vollwert-Ernährung im Kindergarten – Erfahrungen einer Erzieherin und ein Credo für liebevolles Essen als Grundlage aller Entwicklung.


Seit nunmehr drei Jahren koche ich im Waldorfkindergarten das Mittagessen für unsere sechs Gruppen. Jeden Donnerstag werden die frischen Zutaten wie Gemüse, Getreide und Milchprodukte direkt von einem Demeterhof zu uns geliefert. Wir kochen vegetarisch. Für einen Kindergarten in einer Großstadt wie Hamburg ist diese Ernährung ein wahrer Luxus, den wir uns bewusst leisten und für den ich sehr dankbar bin.Gerade in einem Umfeld von Schnelllebigkeit, Überfluss, berufstätigen Eltern und Fertigprodukten ist es eine echte Herausforderung, eine solche Oase für Kinder zu erschaffen, wo Ursprünglichkeit auch und gerade über die Ernährung erlebbar gemacht wird.

Dass ein Mensch alleine es schaffen kann, an einem Vormittag frisch zubereitet für sechs Gruppen zu kochen, löst zumeist großes Erstaunen aus.  Das scheinbar Unmögliche ist möglich  durch die Einfachheit, Ursprünglichkeit und Differenziertheit dieser Nahrung. Konkret bedeutet das, dass es montags zum Mittagessen z.B. Vollkornreis mit Broccoli für die Krippengruppen und saisonabhängig eine Gemüsesuppe mit maximal drei verschiedenen Gemüsesorten für die Kinder im Elementarbereich gibt. Das Frühstück wird in den Gruppen von den Erzieherinnen und den Kindern gemeinsam bereitet.

Es gibt natürlich im Bereich der Ernährungsforschung sowohl aus anthroposophischer wie auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive umfangreiche Erkenntnisse darüber, was eine gute Ernährung alles integrieren könnte und sollte. Zuweilen ist es dann so, dass die verschiedenen Sichtweisen derart konkurrieren, dass letztlich das Wesentliche, nämlich die individuelle Entfaltung und Entwickelung des Kindes, zu kurz kommt. Vielfalt beginnt dann irgendwann zu überfordern. Diese Erfahrung bestätigt sich auch angesichts der Weisheit der Kinder selbst. Wenn wir etwa meinen, die Kinder mögen das Gemüse nicht, dann liegt das häufig einfach daran, dass zu viele Sorten auf dem Teller liegen. Denn Broccoli ist sehr lecker. Und Kohlrabi auch. Aber Broccoli und Kohlrabi zusammen geht irgendwie gar nicht! Wir haben im Laufe der Zeit Verschiedenes ausprobiert und experimentiert. Und tatsächlich kann man kaum davon sprechen, dass die Kinder diese oder jene Vorlieben haben. Vielmehr scheinen sie auch in der Ernährung nach Klarheit zu verlangen – was uns Erzieherinnen eine anstrengungslose Umsetzung ermöglicht und für die Kinder das pure Geschmackserlebnis zu einer bleibenden Erinnerung macht. Eine einfache Erfahrung, die jedoch in ihrem individuellen Ausdruck ein unendliches Spektrum an Komplexität zur Entfaltung bringt.

Dienstags gibt es Karotten und Gerstengrütze: wieder einfache Zutaten, differenziert zubereitet. Wenn man davon ausgeht, dass sich über die Ernährung nicht nur der physische Körper entwickelt und entfaltet, sondern auch ein seelisches Erleben stattfindet, dann folgt aus der Differenziertheit der Nahrungsaufnahme eine sich gleichermaßen entwickelnde seelische Fähigkeit  zu differenzieren. Eine Fähigkeit, die letztlich verantwortlich war, ist und sein wird für alle Evolution. Gibt es einen anderen Bereich des Lebens, der so sehr in das Weltgeschehen und seine  Entwicklung greift und sie gestaltet, wie unsere Beziehung zur Nahrung? Sie nimmt Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden, auf die Wirtschaft, die Politik und auf die Umwelt – und verkommt doch häufig im Alltag zu einer zwar notwendigen, aber dennoch kaum reflektierten Nebensächlichkeit. Umso wertvoller, dass es diese beiden Aspekte – Einfachheit und Differenziertheit – sind, die für die Kinder auf physischer ebenso wie auf seelischer Ebene die Grundlage ihrer Entwicklung bilden. Wahre Liebe zur Ernährung von Anfang an: So kann Ernährung Kulturgut werden.

1 Kommentar:

  1. Hi Jasna,
    danke besonders für den Abschnitt über Reizüberflutung in der Ernährung. Hatte von Dornacher Nachbarn Ähnliches gehört, dass Rudolf Steiner sagte, es sollte nur eine bestimmte Anzahl von Gemüsen oder anderen Lebens-Mitteln auf dem Teller liegen.
    Im Camphill hat es mir große Erleichterung bedeutet, nicht so viel Durcheinander zu haben. Aber: neulich habe ich in einer Illustrierten gelesen: heutzutage essen "nur noch so richtige Anthroposophen so". Musste lächeln.

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