Seit nunmehr drei Jahren
koche ich im Waldorfkindergarten das Mittagessen für unsere sechs Gruppen.
Jeden Donnerstag werden die frischen Zutaten wie Gemüse, Getreide und
Milchprodukte direkt von einem Demeterhof zu uns geliefert. Wir kochen
vegetarisch. Für einen Kindergarten in einer Großstadt wie Hamburg ist diese
Ernährung ein wahrer Luxus, den wir uns bewusst leisten und für den ich sehr
dankbar bin.Gerade in einem Umfeld von Schnelllebigkeit, Überfluss,
berufstätigen Eltern und Fertigprodukten ist es eine echte Herausforderung,
eine solche Oase für Kinder zu erschaffen, wo Ursprünglichkeit auch und gerade
über die Ernährung erlebbar gemacht wird.
Dass ein Mensch alleine es
schaffen kann, an einem Vormittag frisch zubereitet für sechs Gruppen zu
kochen, löst zumeist großes Erstaunen aus. Das scheinbar Unmögliche ist möglich durch die Einfachheit, Ursprünglichkeit und
Differenziertheit dieser Nahrung. Konkret bedeutet das, dass es montags zum
Mittagessen z.B. Vollkornreis mit Broccoli für die Krippengruppen und
saisonabhängig eine Gemüsesuppe mit maximal drei verschiedenen Gemüsesorten für
die Kinder im Elementarbereich gibt. Das Frühstück wird in den Gruppen von den
Erzieherinnen und den Kindern gemeinsam bereitet.
Es gibt natürlich im Bereich
der Ernährungsforschung sowohl aus anthroposophischer wie auch aus
naturwissenschaftlicher Perspektive umfangreiche Erkenntnisse darüber, was eine
gute Ernährung alles integrieren könnte und sollte. Zuweilen ist es dann so,
dass die verschiedenen Sichtweisen derart konkurrieren, dass letztlich das Wesentliche, nämlich die
individuelle Entfaltung und Entwickelung des Kindes, zu kurz kommt. Vielfalt
beginnt dann irgendwann zu überfordern. Diese Erfahrung bestätigt sich auch
angesichts der Weisheit der Kinder selbst. Wenn wir etwa meinen, die Kinder
mögen das Gemüse nicht, dann liegt das häufig einfach daran, dass zu viele
Sorten auf dem Teller liegen. Denn Broccoli ist sehr lecker. Und Kohlrabi auch.
Aber Broccoli und Kohlrabi zusammen geht irgendwie gar nicht! Wir haben im
Laufe der Zeit Verschiedenes ausprobiert und experimentiert. Und tatsächlich
kann man kaum davon sprechen, dass die Kinder diese oder jene Vorlieben haben.
Vielmehr scheinen sie auch in der Ernährung nach Klarheit zu verlangen – was
uns Erzieherinnen eine anstrengungslose Umsetzung ermöglicht und für die Kinder
das pure Geschmackserlebnis zu einer bleibenden Erinnerung macht. Eine einfache
Erfahrung, die jedoch in ihrem individuellen Ausdruck ein unendliches Spektrum
an Komplexität zur Entfaltung bringt.
Dienstags gibt es Karotten
und Gerstengrütze: wieder einfache Zutaten, differenziert zubereitet. Wenn man davon
ausgeht, dass sich über die Ernährung nicht nur der physische Körper entwickelt
und entfaltet, sondern auch ein seelisches Erleben stattfindet, dann folgt aus
der Differenziertheit der Nahrungsaufnahme eine sich gleichermaßen entwickelnde
seelische Fähigkeit zu differenzieren.
Eine Fähigkeit, die letztlich verantwortlich war, ist und sein wird für alle
Evolution. Gibt es einen anderen Bereich des Lebens, der so sehr in das
Weltgeschehen und seine Entwicklung
greift und sie gestaltet, wie unsere Beziehung zur Nahrung? Sie nimmt Einfluss
auf Gesundheit und Wohlbefinden, auf die Wirtschaft, die Politik und auf die
Umwelt – und verkommt doch häufig im Alltag zu einer zwar notwendigen, aber
dennoch kaum reflektierten Nebensächlichkeit. Umso wertvoller, dass es diese
beiden Aspekte – Einfachheit und Differenziertheit – sind, die für die Kinder
auf physischer ebenso wie auf seelischer Ebene die Grundlage ihrer Entwicklung
bilden. Wahre Liebe zur Ernährung von Anfang an: So kann Ernährung Kulturgut
werden.